Ariadnefaden -
Wollknäuel der Ariadne

Es weist den weitmöglichsten Weg zwischen außen und innen und zwischen innen und außen.
Ein Umweg? C.G. Jung soll einmal gesagt haben: "Der direkteste Weg ist der Umweg".

Der Ariadnefaden ist der Weg in einem uralten Menschheitssymbol. Der tiefere Sinn liegt insbesondere in der Umkehr, der Umkehr ins Gegenteil. Wenn ich dem Faden folge, sei es mit den Augen, mit dem Finger oder im großen mit dem ganzen Körper, muss ich mich in weiten Bögen immer wieder um 180 Grad drehen. Es ist ein ständiges Einüben ins Gegenteil von dem was ich gerade noch dachte, fühlte, was ich gerade noch war.
Vielleicht schenkt uns diese Bewegung mehr Flexibiliät, mehr Toleranz?
In einer Familie, die ein großes Labyrinth im Garten haben, sagen die Kinder manchmal zur Mutter: "Ich glaube du musst wieder mal durchs Labyrinth."

In der ganzkörperlichen Erfahrung wird z.B. die Gehirnflüssigkeit ganz sanft, mal auf die eine, mal auf die andere Seite ausgleichend bewegt. Diese angenehme, gleichmäßige Bewegung wirkt insgesamt ordnend und harmonisierend.

Schon Nietzsche schrieb: "Wer weiß... was Ariadne ist?" Der Name ist gleichbedeutend wie "die überaus Reine/Klare". Auf Abbildungen trägt Ariadne über ihrer Stirn ein weitleuchtendes Diadem. Sie erinnert an eine klare, helle versilberte Vollmondnacht am Mittelmeer. Im Mythos schenkt Ariadne, die kretische Königstochter dem fremden, griechischen Theseus aus Liebe ihr Wollknäuel, das ihn sicher in die Mitte des Labyrinths und wieder herausführt. Vielleicht ist mit Ariadne die helleuchtende Seelen- und Liebeskraft gemeint. Theseus könnte für den Menschen stehen, der aus der Sonne durch die Dunkelheit zu gehen hat, um zum zweiten mal geboren zu werden.

Ein spirituelles Werkzeug? Dem Wollknäuel der Ariadne folgen, heißt hineinzugehen ins Labyrinth. Immer wieder neu dem Weg des Lebens folgen. Anfänger/in sein, den Weg suchen auf engstem Raum. Den eigenen Weg fortsetzen Schritt für Schritt und gleichzeitig Offensein für das Ganze und auch für die Anderen. Jeden Schritt wahrnehmen wie ein erster Schritt... Sich hinwenden, kehrtwenden, abwenden, annähern. Manchmal gehts nicht weiter. Manchmal voller Sehnsucht von der Mitte hingezogen sein. Die Mitte wird erahnt, auf die es zuerst schnell zuzugehen scheint. Dann aber führt der Umweg durch viele reinigende Windungen. Wer ausharrt und auf dem Weg bleibt, den findet das Ziel, die Mitte, die gleichsam Anfang ist zu neuem Leben.

Villa Unspunnen 2006
foto: mymaze

DER GANG DURCHS LABYRINTH

"Komme ich da auch wieder heraus?"

"Ja, ganz gewiss!" Denn ein Labyrinth ist kein Irrgarten, wie viele Menschen meinen, die vor dem Labyrinth stehen oder dieses Wort hören und damit eine verwirrende Situation assozieren. Ein Labyrinth hat immer einen ganz klaren, kreuzungsfreien Weg, der zwangsläufig, wenn man ihn bis zum Ende verfolgt, zur Mitte führt. Irrgärten entstanden erst ab dem 15.Jahrhundert zur Unterhaltung des Adels.

Das Labyrinth ist ein uraltes Menschheitssymbol, das wir seit Jahrtausenden in fast allen Kulturen finden.

Um den eigentlichen Sinn eines Labyrinthes zu erfahren, muss man es begehen. Da Inhalt und Form nicht getrennt sind, können diejenigen, die sich mit Leib und Seele einlassen, ihre eigene Tiefe erfahren. Hunderte von Menschen sind in den letzten 20 Jahren in intensiven Kursen durch Labyrinthe gegangen. Die Erfahrungen sind ähnlich. Sie zeigen, dass das Labyrinth ein spirituelles Werkzeug ist und den Menschen Dimensionen eröffnen kann, die sie vorher nicht für möglich gehalten hatten. Die Erfahrung entspricht natürlich der jeweiligen Lebensgeschichte und der augenblicklichen Verfassung eines Menschen.

Ich versuche, mit den Worten der KursteilnehmerInnen den Gang durchs Labyrinth zu dokumentieren.

Das Labyrinth lockt die Menschen und macht ihnen Angst. Man steht vor einem abgegrenzten Raum. Es gibt nur einen engen Eingang. Nicht jede wagt den ersten Schritt.

"Das Labyrinth assozierte in mir eine ungeheure Angst vor dem Ausgeliefertsein an 'etwas', was nicht zu durchschauen ist." "Hilfreich und ermutigend war für mich die Gruppe, die sich fast geschlossen für diesen Durchgang entschied. Als ich an der Reihe war, hatte die Angst meinen physischen und mentalen Widerstand gebrochen, und ich konnte jeden Schritt, egal wie er war, geschehen lassen."

Wer das Labyrinth betritt ist eingeschlossen, isoliert, abgeschlossen von seiner bisherigen Umgebung. "Alles verschwindet was außen war, man tritt in einen heiligen, zeitlosen Raum. Alles verschwindet bis auf diesen Weg, den man begeht." "Egal was passiert - wenn ich nur einen Fuß vor den anderen setze, komme ich an - einfach NUR GEHEN reicht aus."

Der Umweg beginnt. Manchmal ist das Ziel ganz nah, dann wieder weit entfernt.

"Ich muss mich in weiten und engen Bögen immer wieder um 180 Grad drehen. Es ist ein Einüben ins Gegenteil von dem was ich gerade noch dachte, fühlte, was ich gerade noch war." "Ich verliere die Orientierung. Die Angst mich zu verirren, kam aus einer tiefen Schicht hoch und hat mich stocken und zögern lassen: Ich hatte den roten Faden verloren. Das 'Wissen' um die Mitte hat mich weitergetragen und mich weitergehen lassen. Dadurch, dass ich langsam immer wieder einen Fuß vor den anderen gesetzt habe, hat sich das Gewirr, die Verknotung in mir gelöst... Dieses war wohl für mich die wichtigste Erfahrung: Der rote Faden ist in mir. Niemand anderes außer mir selber kann ihn mir geben. Wenn ich im Vertrauen auf die Mitte den Weg weitergehe, werde ich immer wieder einen Zipfel davon erhaschen. Irgendwie hat dies mein Leben verändert." "Unterwegs auf engstem Raum mit anderen, jede auf ihrem Weg. Wenn ich dem Weg der anderen folge, komme ich vom eigenen Weg ab." "Offen sein für andere, und gleichzeitig meinen eigenen Weg fortsetzen. Jeden Schritt wahrnehmen wie einen ersten Schritt. Sich hinwenden, kehrtwenden, abwenden, annähern. Manchmal gehts nicht weiter, zittere ich. Dann wieder der Aufbruch. Ahnung von etwas Grundlegendem, mit meinem Inneren in Resonanz Stehendem. Etwas, was mich antreibt, anzieht auf Umwegen."  "Die langen Außenwege. Ob ich überhaupt noch auf dem richtigen Weg bin? Ob der ganze Weg, die ganze Mühe umsonst war?"
"Die Mitte kommt unverhofft!"

Wer aushält, kommt zur Mitte. In der Mitte ist jeder allein. Die Mitte des Labyrinths ist die eigene Mitte.

"Herzklopfen vor der Mitte. Es wird mir jetzt besonders schwer, als würde mich eine unsichtbare Kraft in den Boden ziehen. Die Kraft ist noch ungewohnt. Ich gebe ihr nach. Wie komme ich wieder raus, wenn es mir noch enger wird in der Brust?" "Halte ich den Schmerz noch aus oder muss ich flüchten? Die Gemeinschaft gibt mir Vertrauen. Die Angst läßt nach. Die Zugkraft der Mitte. Der letzte Schritt."

Im Zentrum geschieht Tod und Wiedergeburt.

"Gott, jetzt hast du mich bis ans Ende dieser Reise begleitet. Jetzt lasse ich meine Schwere los." "Ich überlasse mich der Mitte. Die Anspannung läßt nach. Ich überlasse mein Denken... dem Segen." "Eine sanfte Strömung breitet sich von den Fußsohlen aus über meinen ganzen Körper und wird zum Strom. Meine Armen, meine Schultern fühlen sich leicht an. Meine Lungen sind freier denn je. Es atmet mich. Außen und innen verbinden sich. Es bewegt sich in mir, eine leichte spiralige Bewegung wie eine zarte Flamme. Die Füße verwurzelt und doch nicht schwer." "Gelassenheit und Frieden."

Wer aus dem Labyrinth will, muss sich noch einmal um 180 Grad drehen. Diese Drehung heißt nicht nur aufgeben dessen was bisher war, es heißt gleichzeitig Neubeginn.

"Ich drehe mich um und es geht den ganzen Weg wieder zurück, unter verkehrten Vorzeichen, mit völlig anderer Qualität. Der Segen verläßt mich nicht. Ich lasse mich gehen, lasse mich tragen und nähren in der Gewissheit um das Leben, den göttlichen Funken in mir." "Bin ich Mensch, der einen geistigen Weg geht, oder bin ich Geist, der einen menschlichen Weg geht?" "Ich gehe aus dem Labyrinth in meinen Alltag: die Ruhe wirkt weiter, wo immer ich gehe."

"Ich staune, wo ich das Labyrinthmuster anlegen kann. Ich erkenne das Gehen im Labyrinth beim Meditieren, in der Arbeit, in der Begegnung mit Freunden, in der Konfliktlösung."

"Komme ich da auch wieder heraus?"

"Nein, wahrscheinlich nicht! Wir gehen ins Labyrinth um zu sterben und aufzustehen."

Aus dem Buch: Willigis Jäger, Beatrice Grimm/ Der Himmel in dir - Einübung ins Körpergebet/München 2000

mehr über Labyrinthe:
www.mymaze.de
www.begehbare-labyrinthe.de
www.das-labyrinth.at

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